14Argentinischer Tango


Ein besonderes Spiel ist der argentinische Tango.
Er lässt sich weder der Gruppe der Standardtänze, noch der Gruppe der Lateintänze zuordnen, vielmehr übernimmt er einige Elemente aus beiden Gruppen und führt diese, wie wir gleich sehen werden, zu Neuem zusammen.
Die Spielidee ist eher "lateinamerikanisch". Die Partner bilden keine gemeinsame Spielfigur (wie in den Standardtänzen), sondern verkörpern unterschiedliche Spielfiguren mit unterschiedlichen Spielaufträgen. Die spezifische Form der räumlichen Bewegung, die dieses Spiel verlangt, ist nur möglich, wenn beide Partner ihren Rollen gemäß agieren.


Die Spielfigur des Geführten

Hier eine seltene Aufnahme, die die "wahre Form" einer "Tangodame" zeigt:




Die Spielfigur erinnert ein bisschen an eine Schubkarre. Wie das Rad bei einer Schubkarre müssen die Füße immer "vorne" sein. Überholt der "Oberkörper" das Rad, kippt die Figur um.
Das Besondere ist eine Art "Drehgelenk" unterhalb des Brustkorbes, durch das der gesamte Unterkörper der Spielfigur, wie bei einer Transportrolle gedreht werden kann. Dadurch wird die Figur sehr "wendig".


Nur ganz alleine stehen ist in dieser Form nicht ganz einfach, weswegen sie zur Stabilisierung meist leicht gegen den Führenden gelehnt ist.


Video | Spielfigur Dame | Video auf bebop's game YOUTUBE


Spielaufträge

Diese "Spielfigur" soll jetzt vom Partner auf jede erdenkliche Weise "geschoben" oder "gezogen" werden – im wahrsten Sinne, denn diese Figur besitzt keinen eigenen Antrieb. Sie bewegt sich immer nur so weit, und so schnell, wie sie vom führenden Partner geschoben, oder gezogen wird.
Der Spielauftrag den der Geführte zu erfüllen hat, ist: "die Form zu wahren", und nur so auf das Schieben und Ziehen des Partners zu reagieren, wie es der Form und den Bewegungsmöglichkeiten seiner Spielfigur entspricht (also: wie eine Schubkarre mit den Bewegungseigenschaften einer Transportrolle 😉).
Der Führende hat sehr viel Gestaltungsfreiraum, was Form und Bewegungseigenschaften seiner eigenen Spielfigur anbelangt, solange er nichts tut, was den Partner "umwirft".


Haltung

Getanzt wird in geschlossener Haltung. Dadurch nähert sich der argentinische Tango optisch den Standardtänzen an, aber das ist eine Täuschung. Der Führende passt seine Spielfigur lediglich der "Form" seines Partners an. Er kann sich aber jederzeit von ihm lösen, und ganz andere "Schritte" machen. Allerdings müssen die Partner währenddessen weiter mit den Armen verbunden bleiben.
Diese Verbindung schränkt den Radius, in dem sich der Führende frei bewegen kann, deutlich ein.
Befindet sich der Führende zu weit außerhalb, oder zu weit innerhalb dieses Radius, müssen sich die Körper verbiegen, um stehen zu können.





Die Spielfiguren sollten am Ende einer Bewegung (Bewegungssequenz) immer "entspannt" stehen können, aber auch während einer Bewegungssequenz sollten sich die Körper nicht verbiegen müssen.


Rhythmus / Bewegung

Rhythmisch gibt es keine Vorgaben. Die Partner können sich von einer Achse auf die andere bewegen, und dort pausieren, oder mehrere Schritte zu längeren Bewegungseinheiten zusammenfassen, langsam oder schnell tanzen. Die Musik gibt lediglich einen Grundschlag - eine Grundgeschwindigkeit vor.
Das Besondere aber am Tango ist, dass diese Grundschläge nicht den Beginn einer Bewegungseinheit kennzeichnen, sondern deren Ende. Es sind also die Zeitpunkte gemeint, zu dem der Körper "ankommen", bzw. über/auf der Achse zur Ruhe kommen soll.
Was das Ankommen betrifft, sind diese Zeitangaben bindend. Aber man muss beim Tango gar nicht erst losgehen 😉 – d.h., man kann einfach stehenbleiben und ein paar Grundschläge "vorbeiziehen" lassen.
Die Freiheit, einzelne Gewichtsverlagerungen von Achse zu Achse zu machen, zu Pausieren oder beliebig viele Schritte zu größeren Bewegungseinheiten zusammen zu fassen, sind die wichtigsten Gestaltungselemente des argentinischen Tangos.


Der Grundschritt (kleine Base)

Der Grundschritt - die kleine Base - dient dem Führenden als Orientierungshilfe.
Er ist eine Abfolge von räumlichen Bewegungen (6 Bewegungen = kleine Base / 8 Bewegungen = große Base). Sie können einzeln ausgeführt – die Körper bewegen sich immer nur von Punkt zu Punkt, von Achse zur Achse – oder zu längeren Bewegungseinheiten zusammengefasst werden, bei denen die Körper ohne dort zu pausieren über diese Punkte hinweg (oder haarscharf daran vorbei) transportiert werden.
Die kleine Base erinnert stark an eine Linksdrehung.
Lediglich der 3. Schritt wird nicht "geschlossen", sondern der Führende Partner geht außenseitlich am Partner vorbei.



Die seltsame Reinfolge der grün unterlegten Zahlen, bezieht sich auf die im Tango übliche Nummerierung der Bewegungen (Führender: Schritt 1 der Base = Rechts Rückwärts, Schritt 6 der Base = Links vorwärts, usw.).
Es fehlen die Nummern 5 und 6. Sie gehören zur großen Base, und sind am Anfang überflüssig.

Video | kleine Base | Video auf bebop's game YOUTUBE


Diese "Grundbewegungen" sind das Spielmaterial. Sie können beliebig kombiniert, vor und zurückgespult, einzeln getanzt, oder zu Bewegungseinheiten zusammengefasst werden. Wie in den Standardtänzen können die offenen Übergänge ("Eins" zu "Zwei", und "Sechs" zu "Sieben") gedreht werden, doch eins nach dem Anderen.





Einleitung Tango

Wir schreiben das Jahr 2000; Ort des Geschehens: Sydney, Australien; Anlass: Olympische Sommerspiele. Die argentinischen Sportler marschieren zu den Klängen von "La Cumparsita" in die Arena ein. Das Unerhörte wiederholte sich, wie schon bei den Fußballweltmeisterschaften 1998. Ein Skandal! Damals hatten diplomatische Interventionen dazu geführt, dass der argentinische Staat zugeben musste, dass dieses Stück – der Tango schlechthin – uruguayischen Ursprungs sei, und sah sich gezwungen, dies sogar auf einer Gedenktafel zu dokumentieren. Diese wurde dann allerdings nicht in Buenos Aires, sondern in Montevideo aufgestellt. Schon wieder sind wir in einem erbitterten Streit darüber gelandet, welchem Land die Bezeichnung "Mutterland des ........." zusteht. Ein bisschen seltsam mutet dieser Streit um die Urheberschaft des "getanzten Geschlechtsverkehrs" schon an, war er doch bis in die 1920iger Jahre in seiner Heimat ob seiner Anstößigkeit harten Repressionen ausgesetzt. Der Tango - vom lateinischen "tangere" (berühren) abgeleitet, oder doch eher vom Bantu-Wort "tamgu" (tanzen), oder gar aus dem japanischen stammend, wie Eduardo S. Casillas annimmt, und ihn gleich von japanischen Einwanderern auf Cuba erfinden lässt – hatte sich am Ende des 19. Jahrhunderts aus der Kubanischen "Habanera", der "Camdombe" und der "Milonga" entwickelt.
Man tanzte ihn eng umschlungen und hielt immer wieder inne. Seinen typischen Klang erhielt er, nachdem 1870 das erste, vom Krefelder Hans Band entwickelte Bandoneon nach Buenos Aires eingeführt wurde.
Die ersten als "Tango" betitelten Stücke gab es schon ab 1886. Getanzt und gespielt wurde der Tango in seiner Heimat in den Cafes und Bordellen der Hafenviertel. Nach zeitgenössischen Aussagen "für die anständigen Frauen tabu" bot "den Unanständigen diese unerhörte Art zu tanzen ausreichend Gelegenheit, ihre Ware anzupreisen".
Anders in Paris. Dort befreiten sich die Damen gerade vom Korsett, und zeigten im Moulin Rouge und den Follies Bergères ihre Beine. Unanständigkeit war schick, reizvoll, exotisch und extravagant. Dies war das gesellschaftliche Klima, welches das argentinische Ehepaar Gobbi 1907 vorfand, als es nach Paris kam, um dort Plattenaufnahmen zu machen. Dies war zu jener Zeit in Argentinien noch nicht möglich. In Paris hatten sie Erfolg mit ihrer Musik, so folgten andere Musiker schnell ihrem Beispiel. Auch sie verließen Argentinien, um in Paris Ihr Glück zu suchen – und auch sie hatten Erfolg.
Bereits 1909 fand das erste Tangoturnier in Nizza statt, und bald darauf erlag ganz Europa dem Tangofieber. Nein, nicht ganz Europa ...... auch hier gab es Säulen des Anstandes, wie z.B. Willhelm II, der seinen Offizieren 1913 verbot, in Uniform zu tanzen. Damit zeigte er sich zumindest etwas toleranter als der Papst, der ein generelles Tanzverbot propagierte. Die europäische Gesellschaft stilisierte den Tango. Was sonst blieb ihr übrig, denn "authentisch" ließ sich der in den argentinischen Bordellen geformte, sexuell geprägte Tanzstiel bei aller Freizügigkeit nun wirklich nicht nachvollziehen.
Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass es heute zwei grundsätzlich verschiedenen Formen, in denen Tango getanzt wird, gibt: den sogenannten "Europäischen Tango", und den sogenannten "Tango Argentino".
Anfangs scheint der europäische Tango aber auch zu wild und unsittlich gewesen zu sein, wie 1920 auf einer Tanzlehrerkonferenz festgestellt wurde. Das formulierte Ziel dieser Konferenz war es, wieder gute Sitten und Formen auf der Tanzfläche einzuführen. 1929 wurde er dann auf einer weiteren Konferenz den Standardtänzen zugeordnet, und dem englischen Stil angepasst. Unanständige Posen wurden weitestgehend verbannt, ebenso wurde verboten, die Partnerin in die Luft zu werfen. Stattdessen wurden eine akkurate und aufrechte Haltung vorgeschrieben, sowie die Geschwindigkeit und ein Schrittrepertoire festgelegt. In seiner Heimat brauchte der Tango etwas länger, um sich als gesellschaftlich zu etablieren. Noch 1914 sagte der argentinische Botschafter Enrique Larreta:

"Der Tango ist in Buenos Aires ausschließlich ein Tanz schlecht beleumundeter Häuser und Tavernen der übelsten Art. Niemals tanzt man ihn in anständigen Salons oder unter feinen Leuten. Für argentinische Ohren erweckt die Musik des Tangos wirklich unangenehme Vorstellungen."

Die argentinische Oberschicht orientierte sich jedoch von jeher an den Pariser Moden, und so war die Rückkehr des Tangos in seine Heimat nur eine Frage der Zeit. In den, dem Stil der Pariser Cabarets nachempfundenen Vergnügungspalästen, wurde er schnell der Renner und bald zum typisch argentinischen Kulturgut umgemünzt. Seine absolute Hochzeit erlebte er dort in den 1940er Jahren, in denen sich auch der "typisch argentinische" Tanzstil entwickelte, der sich seit dem großen Comeback des Tangos in den 1980er und 1990er Jahren weltweit verbreitete.

Auf einen Blick:

Art:      Paartanz (Gesellschaftstanz)
Musik:    2/4 Takt, (4/4 Takt), Tango, Popmusik
Tanzhaltung:   Geschlossene Tanzhaltung
Geschwindigkeit:    variabel
Entstehungszeit:    in der heutigen Form ca. 1900 bis 1940
Gruppe:    Der argentinische Tango lässt sich weder den Lateinamerikanischen, noch den Standardtänzen zuordnen, sondern vereint Merkmale beider Gruppen.